Am Tag vor Heiligabend - 23. Dezember 2007

Es war einen Tag vor Heiligabend als der kleine, knapp 5 Monate alte Hawukelani* von seiner Mutter zu uns gebracht wurde. Er hatte Durchfall, erbrach ständig und wollte auch nicht mehr richtig trinken. So nahmen wir ihn bei uns auf der Kinderstation im Hospiz auf. Wir versuchten, ihn immer und immer wieder Nahrung in kleinen Mengen anzubieten, damit er nicht gleich wieder erbrechen würde. Es brauchte viel Geduld und Zeit. Und da wir im Moment nicht so viele Kinder hatten, konnte ich mich sehr intensiv um Hawukelani kümmern.

Und so begann ich mich mehr und mehr auf und mit ihm einzulassen. Er war ziemlich schwach und wir päppelten ihn wieder ein bisschen auf. Es war ein ständiges auf und ab. Mal ging es ihm gut und ein paar Tage später hatte er wieder Durchfall und erbrach erneut. Dann ging es ihm wieder besser. Aber seit zwei Wochen wurde er immer schwächer. Die letzten Tage hat er kaum noch gegessen und getrunken. Und ich merkte, wie mir dieser Kleine mehr und mehr ans Herz wuchs und so schenkte ich ihm immer mehr meiner Zeit und Liebe. Das ist es was wir hier alle verschenken können.

Es ist Sonntagmorgen 7.00 Uhr. Ich komme ins Babyzimmer und es fällt mir auf, dass es Hawukelani nicht gut geht. Seine Atmung ist nicht in Ordnung. Ich zeige ihn der Schwester und sie sagt, dass es nicht gut um ihn bestellt sei. Ich wasche die anderen Babys, werfe aber immer wieder einen Blick auf Hawukelani. Ich gehe frühstücken, aber so richtig essen kann ich auch nichts, ich bin doch mehr mit den Gedanken bei Hawukelani. Inzwischen ist Schwester Sheilagh im Zimmer und achtet auf die Babys. Als ich wiederkomme sind die Schwester und Hawukelani nicht mehr im Zimmer. Ich gehe ins Schwesternzimmer, wo sie mit im auf dem Arm sitzt. Tränen laufen ihr übers Gesicht und Pater Gerhard ist auch da. Ich sehe, Hawukelani lebt noch, aber es ist abzusehen, dass er sterben wird und vermutlich noch am selben Tag. Schwester Sheilagh legt ihn mir in den Arm und sagt, sie versuche seine Mutter zu erreichen, was dann geklappt hat und sie wollte auch kommen. Inzwischen ist es 9.30 Uhr und ich gehe mit dem sterbenden Baby in die Kirche zum Gottesdienst, es geht ihm immer schlechter und er hat kaum noch Kraft zu schreien. Ich sehe wohl, dass er weinen will, aber er ist zu schwach dazu.

Nach der Kirche setzte ich mich ins Zimmer und wartete auf seine Mutter, die kurz darauf auch kam. Sie erzählte, dass ihre gesamte Familie keine Ahnung von der Existenz des Babys hätte und sie lebte mit Hawukelani allein. Es ist hier recht häufig so, dass keiner von der Familie mehr etwas mit einem zu tun haben will, sobald sie erfahren, dass einer HIV-positiv ist oder gar AIDS schon ausgebrochen ist.  Nun haben aber beide, Hawukelani und seine Mutter AIDS. Daher war sie bereits von ihrer Familie ausgestoßen, noch bevor ihre Schwangerschaft sichtbar war, und der Vater wollte auch nichts mehr mit ihr zu tun haben. Sie rief ihn aber trotzdem an und sagte ihm, dass Hawukelani im Sterben liege und er versprach zu kommen, aber er kam nicht. Mittlerweile war es etwa 11.30 Uhr und Hawukelani wurde zusehends ruhiger. Die Atemabstände wurden größer und er wurde immer schwächer und sah ganz entspannt aus. Seine Mutter und ich waren in Tränen und wir konnten nichts tun außer zu warten, weiter zu warten, zu beten und zu hoffen. Hoffen, dass er es bald besser hätte. Um 12.10 Uhr starb er und es tat mir sehr, sehr weh, denn ich habe ihn doch sehr lieb gehabt und er wird mir fehlen.

Wir legten ihn aufs Bett und weinten beide. Er sah so friedlich und süß aus wie er so dalag auf dem Bett. Hawukelanis Mutter heulte wohl auch weil sie jetzt ganz alleine ist. Wir beide waren sehr traurig und werden ihn sehr vermissen.

Unsere dienst habende Krankenschwester war sehr lieb zu mir. Sie meinte " wir fahren jetzt raus mit dem Krankenwagen und holen einen Patienten ab. Komm! Du fährst! Du musst jetzt hier raus!" Das war wirklich nett von ihr. Auch Gloria aus der Wäscherei sagte, es täte ihr leid und sie hätte doch immer gesehen, mit wie viel Liebe ich mich um die Kleinen sorge, und wenn ich eines Tages oben anklopfe, dann wird der Herrgott sagen: "Komm, Angelika, da sind all deine Babys! Geh hin zu ihnen!" Es hat mich schon sehr berührt, dass sie so etwas gesagt hat. Den ganzen Tag ging es mir nicht besonders gut und ich weiß, dass es nicht das letzte mal gewesen sein wird, denn ein Hospiz ist nun mal in aller Regel die "letzte Station" des irdischen Lebens. Wenn wir diese für unsere kleinen und großen Patienten zu einer würdevollen Erfahrung des Geliebt seins und der Geborgenheit machen können, dann haben wir unsere Aufgabe redlich erfüllt.

* Der Name Hawukelani (Zulu für "habt Erbarmen") ist nicht sein wirklicher Name.

Angelika Müller


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