Mit dem Pflegeteam einen Tag unterwegs im Buschland

Zusammen mit einer Schwester und einem Pflegehelfer sitze ich auf einer Bank hinten im Krankenwagen. Vorne sind die Krankenschwester, die das Team leitet und der Fahrer, der auch ausgebildeter Sanitäter ist. Zuerst geht es in die Township Sundumbili. In einem Untersuchungszentrum gibt die Schwester Auswurfproben zur Tuberkulose-Untersuchung von Patienten ab. Nach einigen hundert Metern halten wir dann wieder. Wir stehen vor einem armseligen  Haus. Die Mitarbeiter des Pflegeteams klopfen. Wir merken, dass die Türe nicht verschlossen ist. Höflich uns vortastend treten wir ein. Wir gehen durch eine kleine Küche in ein Schlafzimmer. Dort blättert der spärliche Putz von den roten gemauerten Steinen. Im Bett sitzt eine junge Frau, die offensichtlich große Schmerzen hat. Der Pflegehelfer misst Blutdruck und Fieber der stark Abgemagerten. Die Schwester überprüft die Einnahme der Medikamente. Die junge Frau hat Aids. Sie war früher schon stationär im Hospiz gelegen, konnte aber wieder entlassen werden. Zuhause hat sich der Zustand der Kranken so verschlechtert, dass die Schwester entscheidet, sie gleich wieder ins Hospiz zu bringen.

Die Ausbildung zur Vollkrankenschwester dauert in Südafrika sechs Jahre. Die Kompetenz dieser fachlich hoch qualifizierten Kraft ist groß. Sie ist unter anderem befugt Patienten zu untersuchen, Medikamente zu verschreiben oder in Krankenhäuser einzuweisen.

Die Medikamente der Frau nehmen wir mit. Alles was sie an Kosmetikartikeln zu Hause hat ist eine Zahnbürste. Unterstützt von den Helfern geht sie mit kleinen Schritten zum Krankenwagen. Wir bringen sie zum Blessed Gérard‘s Hospiz. Dort wird sie eingehend vom Arzt untersucht und stationär aufgenommen.   

Die Fahrt geht weiter nach Mangete. Diesmal führt der Weg über Schotterstraßen und weiter über sehr holperige Feldwege. Kleine Wälder und weite Zuckerrohrfelder säumen den Weg. In die weich abfallenden Hügel in der Ferne sind die Streusiedlungen der Zulu malerisch verteilt. Und immer wieder Palmen, die das Gesamtbild prägen. Der Krankenwagen zwingt sich mittlerweile durch sehr unwegsames Gelände. Ich halte mich mit beiden Händen am Sitz fest. Wir biegen unzählig oft ab bis wir am Ziel sind. 

Ich sorgte mich um meinen Rücken, weil mein Bett zu weich war, bis ich eine Frau traf, die auf dem Boden lag, da sie kein Bett besaß.

Das Team steigt aus und wir stehen vor einer aus Bruchsteinen erbauten Hütte. Sie misst innen ca. 2x3 Meter. Hinter der geöffneten Türe liegt eine abgemagerte Frau am Boden in Decken gehüllt. Ich bin tief erschüttert. Die Frau hustet stark. Sie hat auch Aids. Ihr ganzer Besitz besteht aus wenigen stark verschmutzten Kleidern, einer Spiegelscherbe, zwei Plastiktellern, zwei Bechern, etwas Aluminiumbesteck und einer kleinen Wanduhr, die am Boden liegt und deren Sekundenzeiger sich erstaunlicherweise bewegt. In der einen Ecke des Raumes liegen ein paar Steine, die Feuerstelle. In einer verrosteten Blechdose ist ihr gekochter Maisbrei. Der Topf, den sie besaß, wurde ihr gestohlen. Die Helfer breiten vor der Hütte eine Decke aus und helfen der Kranken nach draußen. Die frische Luft und die Sonne tun ihr sichtlich gut. Wir räumen die Behausung komplett aus und legen alles in die Sonne. Eine der Schwestern telefoniert mit dem Care-Zentrum. Ein Helfer verspritzt etwas Wasser, aus einem Kanister auf dem staubigen Lehmboden. Die Krankenschwester beginnt den Staub und weiteren Schmutz mit der Bürste eines Schrubbers zusammenzukehren. Ich löse sie ab. Zuerst zögert sie. Ich erkläre ihr, dass ich selbst drei Kinder habe, keine Diener und Hauspersonal habe und ich an Arbeit gewöhnt sei, da lässt sie mich gewähren. Alle Decken und Kleidungsstücke stauben wir kräftig aus und legen alles zusammen und räumen alles wieder in die Hütte. Die Helfer richten ihr ein möglichst bequemes Bettlager und sie helfen der Frau wieder in die Hütte. Ihr knochiges Gesicht lächelt. Jetzt messen die Helfer noch Blutdruck und Fieber und sie sprechen dabei viel mit der Schwachen. Die Krankenschwester erklärt mir, dass auch diese Frau bereits im Hospiz war und auf eigenen Wunsch nach Hause wollte, weil sie einen achtjährigen Sohn hat, der sonst ganz alleine zu Hause wäre. Jetzt ist er gerade in der Schule. Als wir fertig sind gehe ich nochmals zu der Frau und wünsche ihr alles Gute und dass ich ihr ein Wunder wünsche. Ich streiche ihr dabei über ihren dürren Arm. Sie versteht zwar meine Worte nicht, aber ihre Augen sagen mir, dass sie mich verstanden hat. Sie schenkt mir ein Lächeln.  

Zur Physiotherapie nach Sundumbili

Einen Aidskranken, der einen Schlaganfall erlitten hatte und halbseitige Lähmungen hat, bringen wir nun im Krankenwagen zur Physiotherapie nach Sundumbili, damit seine Muskulatur dadurch wieder aufgebaut und gestärkt werden kann. Ich sitze neben ihm und stütze ihn, da er selbst nicht in der Lage ist, sich fest zu halten. Eine Pflegekraft ist mit dabei, der von der Therapeutin angeleitet wird, mit diesem Patienten diese Übungen täglich durchzuführen. Er bekommt einen Übungsplan mit bebilderten Anweisungen als Gedächtnisstütze mit. Den Mann, der von der Physiotherapeutin eine Gehhilfe mitbekommt, sitzt später mit gelöstem Gesichtsausdruck im Wagen, es geht zurück ins Hospiz. Er spürt dass ihm geholfen wird. Seine Gesundheit ist anderen wichtig. Er taut richtig auf und spricht mit der Schwester und dem Pfleger. Es herrscht  eine gelöste, angenehme Atmosphäre. Natürlich verstehe ich außer Höflichkeitsfloskeln und ein paar Gebeten kein Zulu. Und die meisten Zulu sprechen kein Englisch. Es ist für mich nicht möglich an der Unterhaltung teilzunehmen. 

Ein ergreifendes Band der Liebe wird für mich sichtbar

Wir laden einen Karton ins Auto. Eine Mitarbeiterin steigt mit Schreibunterlagen in der Hand mit in den Krankenwagen. Ich lasse mich wieder überraschen wohin es geht. Diesen Weg waren wir heute schon gefahren. Ich freue mich sehr, als wir wieder vor der Hütte der Frau sind, die kein Bett besitzt. Ihr achtjähriger Sohn steht in der Türe der Hütte. Er trägt die blaue zerrissene Hose, die ich am  Vormittag ausgestaubt und zusammengelegt hatte. Alle Helfer kommen in die kleine Behausung. Jetzt sehe ich was in dem Karton ist: Maismehl, Reis, Zucker, Öl, Bohnen und noch ein paar andere lebensnotwendige Nahrungsmittel. Solche Direkthilfen werden aus dem Blessed Gérard‘s Nothilfe-Fonds finanziert. Die Frau, die mitgekommen ist, ist die Sozialarbeiterin des Care-Zentrums. Sie spricht eingehend mit dem Jungen. Er versorgt seine kranke Mutter offensichtlich alleine. Er teilt uns mit, dass er Angst hat, dass ihnen die Lebensmittel gestohlen werden könnten, nachdem ihnen ja erst der Kochtopf weggenommen worden war. Die kranke Frau sucht Blickkontakt mit mir während die Anderen mit dem Jungen reden. Ihre Augen schweifen zu ihrem Sohn und dann schaut sie mich wieder fest an. Ich nicke ihr zu und ich verstehe, dass er alles ist, was sie hat. Ich bin ergriffen wie sehr sie an ihm hängt und wohl auch von ihm abhängig ist. Dieser Augenblick wird mich wohl nie wieder loslassen. Er hat sich mir tief ins Herz eingeprägt. Mittlerweile werden einige der Lebensmittel in die einzige Plastiktüte die sie haben gepackt und mit Kleidung zugedeckt. Ein Teil des Zuckers findet in einer kleinen Box Platz. Nun gehen alle aus der Hütte. Ich verabschiede mich wieder und versuche der Frau mit meinem Blick zu versprechen, dass es für sie Hoffnung gibt. Sie lächelt wieder. Mir fällt der Abschied schwer. Der Junge steigt mit uns in den Krankenwagen ein. Die Schwester erklärt mir, dass wir zu Bekannten der Kranken fahren werden. Der Junge sagt, dass die Lebensmittel dort sicher seien. Wir treffen die Familie an, erklären die Sachlage und lassen die Vorräte in deren Haus. Die Schwester notiert die Telefonnummer der Bekannten und nach kurzem Verhandeln kommen die Frau und deren fast erwachsene Tochter mit uns allen zur Hütte der Kranken. Anschließend fahren wir weiter. Später erfahre ich, dass sich die Bekannten bereit erklärt haben, täglich bei der Kranken vorbeizuschauen. Sie bräuchte dringend stationäre Behandlung im Hospiz, ist aber dazu momentan nicht bereit, weil sie ihren Sohn nicht alleine lassen will und kann. Die Sozialarbeiterin im Care-Zentrum sucht jetzt nach Wegen wie dem Jungen weitergeholfen werden kann, wenn seine Mutter ins Hospiz eingewiesen wird. Für die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten ist es nie zu spät, aber ohne die Behandlung wird sie innerhalb kurzer Zeit tot sein. Falls sie die Medizin regelmäßig einnehmen würde, könnte sie ihr Leben wesentlich verlängern, so dass sie sich dann selbst wieder um ihren Sohn kümmern, wieder arbeiten und dann auch in einer menschenwürdigeren Behausung wohnen könnte.

Durch antiretrovirale Medikamente werden die HI-Viren an der Vermehrung im Blut gehindert. Das bedeutet für den Patienten, dass er sich bald völlig wohl fühlt und weitere 15, 20 oder gar 25 Jahre bei guter Gesundheit weiterleben kann. Die Medikamente müssen regelmäßig und ohne Unterbrechung eingenommen werden, um den Behandlungserfolg zu gewährleisten.

Jetzt führt der Weg wieder auf die Hauptstraße zurück und bald biegen wir auf der gegenüberliegenden Seite wieder ab und sind eine Zeitlang auf Buschwegen unterwegs, bis wir den nächsten Patienten antreffen. Ein Mann, der viele Wunden am Rücken gehabt hatte, wird nachuntersucht. Sein Zustand hat sich mittlerweile stark gebessert und es sind nur noch Verkrustungen geblieben. Die Schwester schreibt ihren Behandlungsbericht in die  Krankenakte, die für jeden Patienten mitgeführt wird. Der Mann hat wieder Grund zum Lachen. Das ist die Hauptsache.

Auf der Fahrt bekommt die Krankenschwester einen Anruf. Wir wenden und fahren ein Stück des Weges zurück. Wir biegen auf einen Feldweg ein. Ein Mann steht uns in einem Pickup gegenüber und macht deutliche Gesten wo wir hinfahren sollen. Offensichtlich braucht man unsere Hilfe. Nach relativ kurzer Fahrzeit über mittlerweile gewöhnt holperige Feldwege kommen wir zu einem Haus. Der Mann mit dem Pickup ist auch schon da und führt uns ins Haus. Seine Mutter liegt im Bett und die Krankenschwester schlägt die Decke zurück. Die Frau hat am Rist des linken Fußes eine Verbrennung zweiten Grades. Die Schwester reinigt die großflächige Wunde zunächst mit einer Desinfektionslösung und anschließend mit einer Wundheilsalbe und sterilen Kompressen und legt einen Verband an. Blutdruck und Temperatur werden routinemäßig auch gemessen. Die Schwester führt noch einen Blutzuckertest durch. Sie empfiehlt ihr zur örtlichen Klinik bringen zu lassen um sich dort ein Antibiotikum geben zu lassen. Das Team gibt den Angehörigen noch Empfehlungen.

Auf der Rückfahrt blicke ich aus dem schmalen Sichtbereich des Sanitätsfahrzeuges in die Hügellandschaft mit deren Grashalmen die untergehende Sonne spielt. Ich bin voll Bewunderung für dieses Team, das tagein tagaus diesen Dienst bei den Armen leistet. Sie halfen unermüdlich, kompetent und menschlich. Ja vor allem ihre Menschlichkeit hat sich als festes Bild bei mir eingeprägt.

Mechthilde Lagleder  


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