AIDS-Reportage Südafrika vom 19.4.2001

Khululiwe ist erst 15, als sie Mutter wird. Besonders tragisch: Die junge Frau ist bereits mit dem tödlichen Virus HIV infiziert und so kommt auch ihr Baby mit dem tödlichen Erreger zur Welt. Sehen Sie jetzt das Schicksal einer kleinen Familie aus Südafrika, einem Land, in dem immer mehr Kinder an AIDS sterben.

Thembinkosi ist erst dreieinhalb Jahre alt. Seinen vierten Geburtstag wird er nicht erleben. Er hat Aids. Wie seine Mutter Khululiwe. Die junge Frau ist 18. Ihre Organe sind schon stark angegriffen. In ein paar Wochen wird sie tot sein. Aids-Medikamente, die ihr Leben verlängern könnten, gibt es zwar, sie sind aber für fast alle Südafrikaner unbezahlbar.

Khululiwe, 18, hat Aids im Endstadium: "Ich habe wahnsinnige Schmerzen, bekomme kaum Luft und kann nicht mehr aufstehen. Ich weiß, dass ich bald sterben muss – und ich weiß, dass auch mein Sohn bald sterben muss.“

Khululiwe und Thembinkosi leben hier. Und hier werden sie auch sterben, inmitten sanfter Hügel. In einer scheinbar heilen Welt. Doch diese Welt ist die AIDS-Hölle von Südafrika. Philipp Hahn, s.a.m.-Reporter: "Hier stirbt ein ganzes Land. Jeder fünfte Südafrikaner hat sich mittlerweile mit dem tödlichen Virus angesteckt. Hier in der Region kwaZulu-Natal sind von drei Millionen Menschen schon zwei Millionen infiziert und in einigen Gebieten sind sogar unfaßbare 90% HIV-positiv. Nirgendwo sonst auf der Welt breitet sich die Epidemie so rasant aus wie hier." 

Aber nur wenige haben den aussichtslosen Kampf gegen den Tod aufgenommen. Zu ihnen gehört Pater Gerhard Lagleder, den wir in seinem Hospiz in Mandeni treffen. Seit vier Jahren widmet der Mönch aus Bayern sein Leben den Sterbenden von KwaZulu Natal. Unterstützt wird er dabei von etwa zehn ehrenamtlichen Helfern [pro Schicht / insgesamt 436], die er selbst ausgebildet hat. Zusammen pflegen sie die Todkranken. Tag für Tag, Nacht für Nacht. Doch es bleibt ein verzweifelter Kampf. Pater Gerhard Lagleder, 45, sorgt für Aids-Kranke: "Es ist eine AIDS-Hölle. Es ist ein Platz in dem AIDS so überhand genommen hat und das Problem ist, dass die Krankenhäuser völlig überfüllt sind. Die Krankenhäuser können mit den Patienten nicht mehr zurecht kommen und wenn die Krankenhäuser dann sehen 'Also dem können wir eh nicht mehr helfen' dann schicken sie die Leute einfach heim."

Doch das Leid dieser Menschen wird Pater Gerhard und seine Helfer nie mehr los lassen. Sie nehmen die Patienten auf, die keiner mehr haben will. Weit über 500 Menschen haben sie schon in den Tod begleitet. Die drei Frauen in diesem Krankenzimmer gehören inzwischen auch dazu. Der Aids-Tod holt sie fast zur gleichen Zeit - wenige Tage, nachdem diese Aufnahmen entstanden sind. Sie hieß Peacky. Im März kam sie ins Hospiz. Ihre Diagnose: Aids und Magenkrebs. Sie stirbt kurze Zeit später im Alter von 36 Jahren. Neben ihr Pinky. Diagnose: Aids im Endstadium. Sie wird nur 22. Und Nonhlanhla. Diagnose: Aids mit Tuberkulose. Sie ist 29, als sie der Tod von ihren Qualen erlöst.

Khululiwe und ihr Sohn Thembinkosi sind vielleicht schon die nächsten. Aber – so makaber es klingen mag – sie haben Glück. Denn sie gehören zu den wenigen, die in würdevoller Umgebung sterben dürfen. Bis zum Ende wird sich Pater Gerhard um Mutter und Sohn kümmern. Sie müssen nicht jämmerlich zugrunde gehen wie fast alle anderen in den Slums von KwaZulu Natal.

Pater Gerhard Lagleder, 45, pflegt die Todkranken: "Es ist eine Katastrophe vor der wir stehen. Eine Katastrophe, die man nicht aufhalten kann. Eine Katastrophe, für die es keine Behandlung gibt. Ich denke, es gibt nur eine Behandlung dafür und das ist die der liebenden Zuneigung." Und die gibt es nicht in den Slums, wo Leid und Elend das Leben bestimmen. Gerade hier, in den Armenvierteln verbreitet sich die Seuche Aids fast unaufhaltsam. Verantwortlich dafür sind vor allem die Unwissenheit und die Gewaltbereitschaft der Männer.

Philipp Hahn: "Viele südafrikanische Männer glauben beispielsweise, dass sie sich selbst von AIDS heilen können indem sie mit einer Jungfrau schlafen. Dieser wahnwitzige Irrglaube trägt mit dazu bei, dass jährlich zehntausende Mädchen vergewaltigt werden und um die Opfer dieser sexuellen Gewalt kümmert sich niemand. Lediglich Versicherungskonzerne haben bislang versucht an dieser traurigen Tatsache etwas zu ändern. Sie wollten für umgerechnet vier Mark eine Versicherung anbieten, die die Arztkosten nach einer Vergewaltigung übernimmt. Aber in Slums wie diesem hier kann sich das keine Frau leisten." Hinzu kommt: Frauen zählen nicht viel in der Gesellschaft der schwarzen Südafrikaner. Nicht einmal in der Familie. Da fällt Gegenwehr schwer. Eindeutige Sprüche wie „zwei Bier und sie gehört Dir“ werden oft wie selbstverständlich in die Tat umgesetzt. Auch Khululiwe ist wahrscheinlich ein Vergewaltigungsopfer, und ihr Sohn womöglich ein Vergewaltigungs-Ergebnis. Die todkranke Frau will das nicht bestätigen. Aber sie bestreitet das auch nicht. Vorsichtig fragen wir sie, ob sie ein Opfer von sexueller Gewalt ist. Ihre Antwort kommt nur sehr zögerlich:  „Darüber will ich nicht sprechen.“ Khululiwe ist kein Einzelfall. Insgesamt – so schätzen Experten – werden in Südafrika jährlich eine Million Frauen Opfer sexueller Gewalt. Statistisch gesehen wird jede Südafrikanerin in ihrem Leben zweimal vergewaltigt. Doch nur die allerwenigsten trauen sich, Anzeige zu erstatten. Wenn doch, dann werden sie nicht ernst genommen. Nein - über Sex spricht man nicht in Südafrika. Ein fataler Fehler. Denn nur Aufklärung kann die Seuche bremsen. Aber Aufklärung findet kaum statt. Philipp Hahn: "Dieses Plakat soll die Leute dazu bringen beim Sex Kondome zu benutzen. Es ist das einzige Plakat weit und breit, außerdem können hier ohnehin nur die wenigsten lesen was auch drauf steht. Ein weiteres Beispiel für skandalöse Aufklärungspolitik: Vor einigen Monaten ließ das Südafrikanische Gesundheitsministerium hier in dieser Region einhunderttausend Kondome verteilen, sogar mit Gebrauchsanweisung auf einer Art Beipackzettel. Die aber waren zuvor mit Heftklammern and die Gummis getackert worden und so wurden eben durchlöcherte Kondome unters Volk gebracht."

Mörderische Fahrlässigkeit. So lässt sich Aids natürlich nicht besiegen. Im Gegenteil: Immer mehr Menschen sterben immer früher, auch, weil der Staat versagt. Schon jetzt werden die wenigsten 40 Jahre alt. Fast 300 Menschen werden in KwaZulu Natal zur Zeit jeden Tag beerdigt. Wenn kein Wunder geschieht, wird sich diese Zahl bald verdreifachen. Der Platz auf den Friedhöfen wird langsam knapp...

Pater Gerhard Lagleder, 45 „Engel der Todkranken“: "Ich vergleiche die AIDS-Situation hier in Südafrika oft mit dem Schiff der Titanic. Es sind etwa 10 %, die nicht HIV-positiv sind und das wären die Leute, die in den Rettungbooten sitzen und die anderen 90 % die gehen unter. Machen kann man nichts. Das einzige was man tun kann ist dass man das tut was von der Titanic erzählt, nämlich dass dieses Orchester noch gespielt hat, dass wir versuchen den Menschen in ihrer schlimmen Situation die Hand zu reichen, zeigen, Du bist nicht allein, Du bist geborgen, Du stirbst nicht allein." Der kleine Thembinkosi wird auch nicht allein sterben müssen. Selbst wenn er länger leben sollte als seine Mutter. Khululiwe, 18, sterbende Mutter „Er ist mein einziges Kind. Es bricht mir das Herz. Er hat immer weniger Kraft. Aber ich weiß: Hier ist er in guten Händen.“

Pater Gerhard Lagleder, 45 will Kinderheim bauen: "Und ich weiß jetzt nicht wie es weitergeht. Wir überlegen sogar, unser Hospiz jetzt anzubauen in diesem Jahr und auch ein Kinderheim dazu zu bauen weil es eben einfach immer knapper wird. Wir geben nicht auf und ich denke, das ist dasWichtigste in so einer ganz ganz schlimmen Situation, nicht aufzugeben." Im nächsten Jahr soll das Kinderheim fertig sein. Thembinkosi wird die Eröffnung nicht erleben. Aber für viele andere bedeutet das: Es gibt immerhin noch ein ganz kleines bißchen Hoffnung, in einem Land, in dem anscheinend nur der Tod eine Zukunft hat.


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